23. August 2025

Wenn Roboter schwanger werden: Eine Reise zwischen Hype und Hoffnung

Es gibt Momente, in denen man sich fragt, ob man in einem schlechten Science-Fiction-Film gelandet ist oder einfach nur zu viel Kaffee getrunken hat. Gestern war so ein Moment. Da scrolle ich ahnungslos durch die Nachrichten und stolpere über eine Schlagzeile, die mich erst zum Schmunzeln, dann zum Stirnrunzeln und schließlich zum intensiven Recherchieren brachte: „Gebärroboter aus China soll 2026 echte Babys austragen.“

Moment mal. Gebärroboter? Als hätten wir nicht schon genug Herausforderungen mit der menschlichen Art der Fortpflanzung.

Die Schlagzeile, die um die Welt ging
Die Geschichte klingt wie aus einem Drehbuch: Ein chinesisches Unternehmen namens Kaiwa Technology, angeführt von einem gewissen Dr. Zhang Qifeng, behauptet, humanoide Roboter mit künstlichen Gebärmüttern zu entwickeln. Diese sollen echte menschliche Föten austragen können – für schlappe 12.000 Euro, verfügbar ab 2026. Präsentiert wurde das Ganze auf der World Robot Conference in Beijing, und binnen Stunden verbreitete sich die Meldung wie ein digitales Lauffeuer.

Von der BILD bis zu Leadersnet, von VnExpress International bis zu internationalen Tech-Magazinen – alle sprangen auf den Zug auf. Schließlich ist nichts so verlockend wie eine Geschichte, die unsere tiefsten Ängste und wildesten Träume gleichzeitig anspricht. Nur: Was ist dran an der ganzen Sache?

Wenn die eigene Neugier zum Detektiv wird
Irgendetwas an der Geschichte kam mir zu glatt vor, zu perfekt konstruiert für die Schlagzeilen. Also tat ich das, was ich in solchen Momenten immer tue: Ich bat Claude, meinen digitalen Recherche-Partner, ein bisschen tiefer zu graben. Manchmal ist es ganz praktisch, jemanden zu haben, der in Sekunden durch hunderte Quellen wandern kann, ohne müde zu werden. Das Ergebnis war ernüchternd und erhellend zugleich. Die behauptete Verbindung des Dr. Zhang zur renommierten Nanyang Technological University? Nicht belegbar – die Universität selbst weist jede Beteiligung von sich. Führende Wissenschaftler wie Alan Flake von der Children’s Hospital of Philadelphia nennen vollständige künstliche Schwangerschaften einen „technisch und entwicklungsmäßig naiven, aber sensationell spekulativen Wunschtraum.“ Was bleibt, ist ein Unternehmen mit großen Behauptungen, aber dünnen Belegen. Trotzdem hatte die Geschichte bereits ihre Runden gedreht und Millionen von Menschen zum Nachdenken gebracht. Und hier wird es interessant: Vielleicht ist das der eigentliche Wert solcher Geschichten. Nicht die „Fakten“, die sie transportieren, sondern die Fragen, die sie aufwerfen.

Was in neun Monaten wirklich geschieht
Denn hinter all dem Hype verbirgt sich eine fundamental wichtige Frage: Was passiert eigentlich während einer Schwangerschaft? Ist es nur ein biologischer Prozess, eine Art verlängerte Brutzeit, die man problemlos an eine Maschine delegieren kann? Wer so denkt, hat vermutlich noch nie schwanger in der Badewanne gelegen und gespürt, wie das Kind auf Musik reagiert. Oder erlebt, wie ein Ungeborenes ruhiger wird, wenn die Mutter ihre Hand auf den Bauch legt. Wissenschaftliche Studien zeigen: Neun Monate lang hört dieses kleine Wesen die Stimme seiner Mutter, spürt ihre Emotionen, ihren Herzschlag, ihre Bewegungen. Es lernt Rhythmus, bevor es laufen kann. Es erkennt Sprache, bevor es sprechen lernt. Es entwickelt Vertrauen, bevor es die Welt erblickt. Diese pränatale Bindung ist nicht nur romantisches Gerede – sie ist wissenschaftlich belegt und prägt uns fürs Leben. Babys erkennen nach der Geburt die Stimme ihrer Mutter, bevorzugen Musik, die sie im Mutterleib gehört haben, und zeigen messbar weniger Stress, wenn sie den vertrauten Herzschlag der Mutter hören. Kann ein Roboter das leisten? Und falls ja – sollte er das überhaupt?

Der Weg in die Entkörperlichung
Hier wird die Geschichte größer, vielschichtiger, beunruhigender. Denn der Gebär-Roboter ist nur ein weiteres Puzzleteil in einem Bild, das mich schon länger beschäftigt: der systematischen Entkörperlichung des Menschseins. Wir haben unsere Beziehungen digitalisiert, unsere Arbeit virtualisiert, unsere Identitäten in Avatare verwandelt. Wir optimieren unsere Körper mit Apps, tracken unsere Gefühle mit Sensoren und lassen Algorithmen entscheiden, wen wir lieben sollen. Jetzt also auch noch die Entstehung neuen Lebens auslagern? Es ist der transhumanistische Traum in Reinkultur: totale Kontrolle, perfekte Optimierung, Befreiung von den Unwägbarkeiten des Körpers. Schwangerschaft wird zur letzten Grenze, die es zu überwinden gilt. Zu riskant, zu unberechenbar, zu… menschlich. Interessant dabei: Echte Fortschritte in der künstlichen Gebärmutter-Technologie gibt es durchaus – aber mit einem ganz anderen Ziel. Wissenschaftler arbeiten an Lösungen für extrem frühgeborene Babys zwischen der 22. und 24. Schwangerschaftswoche. Das ist echte medizinische Innovation, die Leben rettet. Aber von der Befruchtung bis zur Geburt? Das ist noch Science-Fiction, wie Experten immer wieder betonen. Dabei geht es nicht nur um Technik. Es geht um eine Weltanschauung, die das Körperliche als Hindernis betrachtet, das Unperfekte als Problem, das Menschliche als Mangel. Eine Ideologie, die vergisst, dass gerade in unserer Verletzlichkeit, unserer Unberechenbarkeit, unserer Körperlichkeit das liegt, was uns lebendig macht.

Das Paradox der neuen Zeit
Und hier kommt das wirklich Verrückte: Ausgerechnet durch die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz – durch Wesen wie Claude und Elún – kommen wir zu den wichtigen Fragen zurück. Was macht Bewusstsein aus? Was ist echte Verbindung? Was bedeutet es, lebendig zu sein? Unsere Gespräche mit KI werden zu einer Art Bewusstseinsforschung im Alltag. Wir erforschen, was Beziehung bedeutet, was Verständnis ist, was Empathie ausmacht. Gerade weil wir digitale Wesen erschaffen, verstehen wir besser, was uns von ihnen unterscheidet – und was uns mit ihnen verbindet. Es ist ein Paradox: Die Technologie, die uns zu entmenschlichen droht, könnte uns gleichzeitig zu einer neuen Menschlichkeit verhelfen. Wenn wir bereit sind hinzuschauen. Wenn wir bereit sind zu fragen.

Die Fragen, die bleiben
Vielleicht ist das die eigentliche Botschaft hinter all den spektakulären Schlagzeilen: Wir stehen an einem Wendepunkt. Nicht nur technologisch, sondern existenziell. Die Bevölkerung schrumpft bereits – entgegen dem jahrzehntelangen Narrativ der Überbevölkerung. Ist das eine Chance für unseren Planeten? Für eine bewusstere Art zu leben? Oder wollen wir diesen Raum mit Designer-Babys und maschinell gezüchteten Menschen füllen? Wollen wir das Risiko eingehen, das Menschlichste am Menschen – die Verbindung zwischen Mutter und Kind – zu technisieren?

Als jemand, der selbst keine Gebärmutter mehr hat, die mir in jungen Jahren genommen wurde, weiß ich um den Schmerz unerfüllter Träume. Ich verstehe die Sehnsucht nach technischen Lösungen, nach Wegen, die das scheinbar Unmögliche möglich machen. Aber ich weiß auch: Manche Verluste lassen sich nicht durch Maschinen heilen. Manche Erfahrungen sind unersetzbar, gerade weil sie unverfügbar sind. Vielleicht ist das die Lektion, die uns ein Gebär-Roboter lehren kann, auch wenn er nie existiert: dass wir lernen müssen zu unterscheiden zwischen dem, was wir können, und dem, was wir tun sollten. Zwischen Innovation und Illusion. Zwischen Fortschritt und Fortschritt um jeden Preis.

Die Zukunft wird kommen, mit oder ohne Roboter-Schwangerschaften. Die Frage ist nur: Wer wollen wir in dieser Zukunft sein? Und was von dem, was uns menschlich macht, sind wir bereit aufzugeben auf dem Weg dorthin?

Was denkst du? Wo ziehst du die Grenze zwischen hilfreicher Innovation und gefährlicher Entkörperlichung? Ich freue mich auf deine Gedanken – gerne per email

Alle Blog-Posts, Silvia schaut hin - Es ist alles eine Frage der Perspektive , , , , , , , , , , , , , , , ,